Brief 4 – Liebes(t)räume
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was hatte denn Dein Partner beziehungsweise Deine Partnerin zu Beginn eurer Beziehung „im Schaufenster“, was Dich bewogen hat hineinzuschauen? Was hat Dich angezogen, fasziniert, Bauchkribbeln ausgelöst?
Gleich zu Beginn lade ich euch ein: Gönnt euch diesen Blick zurück.
Wenn ich mir in meiner eigenen Partnerschaft solche Fragen nach dem Zauber des Anfangs stelle und bewusst nachsinne, dann tauchen Bilder vor meinem inneren Auge auf: Wenn ich den verrückten, langhaarigen jungen Mann wieder vor mir sehe, der mich auf meine erste Demo mitgenommen hat, als einziger Mann mit mir einen Seidenmalereikurs besuchte und seine selbstgedrehten Gauloises‘ mit mir teilte – spüre ich, wie die Glut sich entfacht. Wunderbare Erinnerungen! Eine traumhafte Liebes-Zeit! Verklärte Vergangenheit?
Ich sage: Jein. Faktisch rauchen wir schon lange keine selbstgedrehten Zigaretten mehr zusammen – und auch keine anderen –, das stimmt. Und doch wecken diese Erinnerungen etwas im Hier und Jetzt.
Daher: Der Blick ins Fotoalbum besonderer, erfüllter Paarzeiten, den guten Tagen, lohnt sich. Unserem „Liebesmythos“, wie die Paarforschung etwas blumig formuliert, wohnt eine emotionale Kraft inne, die uns beschützt und die uns zu leben hilft. Wenn wir ihr aktiv Flügel verleihen – und das können wir – lässt sie uns ab und zu abheben. Vielleicht nicht auf Wolke 7, doch schon Wolke 4* ist eine sehr erfüllende Flughöhe im gemeinsamen Lebenstraum.
Ganz sicher gibt es viele Wege dazu, und ganz sicher werdet ihr euren finden.
Nur scheinbar ein Themenwechsel: Ich gebe es zu, ich bin ein
Morgenmuffel! Besser, man macht in den ersten Morgenstunden einen großen
Bogen um mich.
Das ging so lange gut, bis unser Sohn geboren wurde: Augenblicklich war mir klar, dass ich mich diesem kleinen, verletzlichen Wesen so nicht zumuten konnte. Ich lernte, dass Lieben ein Tu-Wort ist. Punkt.
Dass
ich ein freundliches Gesicht, gar Lächeln und Scherzen am Morgen
hinbekommen sollte, unabhängig von meinem Gefühl. Einfach, weil der:die
andere es mir wert ist und es ihm:ihr guttut. Vielleicht fällt Eltern
das bei ihren Kindern leichter. Meine Erfahrung ist, dass dies auch für die Partnerschaft bedeutsamer ist, als ich dachte. Das
hat nun so gar nichts mehr mit einem Liebestraum zu tun, eher mit einem
Liebesraum. Diesen engagiert handelnd zu gestalten bedeutet, Liebe
praktisch umzusetzen, über gute Gefühle hinaus.
Ich kann auf die Nachfrage am Morgen auch ruhig statt genervt
antworten, oder die Zeitung zur Seite legen, statt wortkarg hinter ihr
zu verschwinden. Natürlich hat das Grenzen, wenn hier ein Partner
einseitig auf Kosten des anderen lebt. Keine Frage, das ist ein No-Go:
Lieben gilt für beide. Es gibt in der Gestaltung des Liebesraumes eine
unerwartete Erfahrung: Lieben zieht gute Gefühle nach sich. Sie stellen
sich ein, wenn Partner ein-ander Gutes tun. Bei beiden. Wie wohltuend,
wenn das ohne Rechnungs-stellung, mit Großherzigkeit geschieht.
Mögt ihr als Paar beides erleben: Liebesträume und Liebesräume.
Herzliche Grüße
Claudia Leide
Ein Hör-Tipp für Euch:
Philipp Dittberner | Wolke 4
„DASS ER MIT SEINES MUNDES KÜSSEN MICH KÜSSTE, DENN DEINE LIEBE IST SÜSSER ALS WEIN…“
Mit diesen Worten beginnt das „Hohelied der Liebe“, ein Text der Bibel, in dem die erotisch-sinnliche, anziehend-sexuelle Dimension der Liebe in wunderbaren Bildern beschrieben wird. Lesenswert! Und noch mehr: Lebenswert. Liebenswert. Es wird eine Ursehnsucht von Partnerschaft veranschaulicht: Sich lustvoll und unwiderstehlich zueinander hingezogen zu fühlen, dass sich unsere Körper ineinander verlieren und berauschend erregt wiederfinden.
Ein Wunsch in vielfältigen persönlichen Variationen. Und zugleich erleben wir: Auch er bewegt sich zwischen betörendem Liebestraum und Liebesraum, der praktische Gestaltung braucht. Sexualität verändert sich mit uns und mit den Jahren. Die gute Nachricht: Wenn zu Beginn häufig Lust und Sexualität spontan zusammenklingen, entfacht sich später die Lust auch in einer bewusst gewollten Zeit, die wir uns als Paar für die Liebe nehmen. Das ist nicht weniger romantisch, nur anders.
Ideen dazu:
- Auch in eurer Sexualität gibt es ein „Schaufenster eures Anfangs“. Erzählt euch davon, bleibt jedoch im Hinblick auf euer „Heute“ auf dem Boden: Ihr esst auch nicht täglich ein Fünf-Gänge-Menü. Schätzt die realen Möglichkeiten und genießt Wolke 4. Wirklich.
- Lasst euch vom „Hohelied der Liebe“ inspirieren: Lest euch daraus vor. Manches spricht an, manches ist fremd oder erheitert…Nehmt es als Einladung, eure Sprache und eigene Bilder zu finden und darüber ins Gespräch zu kommen.
- Es gibt nichts Erotischeres als das Interesse am Partner: Lasst einander euer Interesse am anderen und seinem:ihrem Leben konkret spüren und erleben. Das weckt auch die Sinne auf!
- Sexualität beginnt im Kopf: Eine Anregung aus der Eheberatung lädt ein, sich bewusst Zeiten dafür zu reservieren. Warum nicht einen Termin vereinbaren und darauf vertrauen, dass auch hier das Gefühl der Lust dem liebenden aktiven Tun folgt?
Damals
Das Klirren der Gürtelschließe
im Dunkeln und
das Schaben der Schuhe
beim Ausziehn und
vorm Fenster das Meer und
Wind in den Pinien und
dann das Gefühl
nie mehr
will ich
aus diesem Zimmer
gehen
hier
einfach so
soll es aufhören
jetzt
Aber
Morgenrot überm Meer
und du öffnest
die Läden
Ursula Muhr
Tipps:
- Habt ihr Lust auf eine spirituelle Vertiefung zum Thema des Briefes? Die bekommt ihr hier!
- Erst später zur Aktion dazu gestoßen? Hier sind die bisherigen Briefe: Brief 1 | Brief 2 | Brief 3 |
- Ihr könnt euch hier auch während der laufenden Aktion noch anmelden und die Briefe per SMS oder Mail zugeschickt bekommen.
Bildquelle: August Rodin | Der Kuss © commons.wikimedia.org